Der Swinetunnel. In 4 Minuten von Usedom nach Wollin

Wer von der Ostseeinsel Usedom auf die benachbarte Insel Wollin reisen will, muss die Swine, den mittleren Mündungsarm der Oder, überqueren. Fähren gibt es hier bereits seit Jahrhunderten, aber erst in neuester Zeit macht ein etwa 1,8 Kilometer langer Tunnel unter der Swine zumindest die Autofähren überflüssig. Der tiefste Punkt des Tunnels befindet sich rund 11 Meter unter der Sohle der Swine, die in Swinemünde eine Tiefe von 13 bis 15 Metern hat. Der Außendurchmesser des Tunnels beträgt 13,46 Meter, was für zwei Fahrbahnen ausreicht. Die Geschwindigkeit im Tunnel ist auf 50 Kilometer pro Stunde beschränkt, die Durchfahrt ist kostenlos und dauert drei bis vier Minuten.
 Baubeginn für den längsten Unterwasser-Tunnel Polens war im Februar 2019 gewesen. Fünfundachtzig Prozent der Kosten, die mit 220 Millionen Euro angegeben werden, trägt die EU, den Rest übernimmt die Stadt Swinemünde. Die Stadt plant – nicht zuletzt durch den Tunnel - die Zahl seiner Touristen von aktuell 1,5 Millionen auf jährlich 2,5 Millionen zu erhöhen.
 Der am 30. Juni eröffnete Straßentunnel hat bereits seine Bewährungsprobe bestanden. Die Mehrzahl der Nutzer ist des Lobes voll, denn vor der Eröffnung des Tunnels mussten Autofahrer Fähren zur Überfahrt nutzen. In Spitzenzeiten bedeutete das für Benutzer der Kaseburger Fähre nicht selten eine Wartezeit von zwei Stunden. Einheimische durften die günstigere Stadtfähre nutzen. Für Fußgänger und Radfahrer bleibt die Stadtfähre auch weiterhin erhalten, während die größere Fähre bei der Insel Kaseburg stillgelegt wird.
 Kassandrarufe der regionalen Presse wie „Swinetunnel undicht“ oder „Tunnel schon wieder geschlossen“ sollten die Nutzer des neuen Bauwerks nicht abschrecken. Der Verkehr rollt allgemein störungsfrei. Gründe für die kurzzeitige nächtliche Schließung waren notwendige Konservierungsarbeiten, Tests, Überprüfungen und die Montage von neuen Geräten.
 Es ergibt sich die Frage, ob den Polen mit dem Tunnelbau verkehrstechnisch der ganz große Wurf gelungen ist? Ja und nein, kann die Antwort nur lauten, denn ebenso wie in der Wissenschaft gebiert auch in der Technik die Lösung eines Problems allgemein eine Reihe neuer, noch zu lösender Probleme. So mehren sich in Swinemünde Befürchtungen, dass der zunehmende Verkehr - an Spitzentagen werden 10.000 Fahrzeuge den Swinetunnel passieren - die Straßen verstopfen wird, zumal es zu wenig Parkplätze gibt. Vor der Tunnelöffnung hatten die recht langsamen Fähren den PWK-Verkehr reguliert.
 Auf dem deutschen Teil der Insel Usedom hingegen befürchtet man neben dem Rückgang der Gästezahlen – er könnte 10 Prozent betragen - gar den Verkehrsinfarkt. Nach einem Gutachten des Infrastrukturministeriums von Mecklenburg-Vorpommern ist nach der Tunneleröffnung mit erheblich mehr Schwerlastverkehr auf der Insel Usedom zu rechnen, falls die bestehende Begrenzung des Grenzübergangs Garz auf Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 7,5 Tonnen aufgehoben würde.
 Die Verkehrsprobleme könnten sich durch den geplanten gigantischen Swinemünder Containerhafen weiter verschärfen. In den deutschen Usedomer Ostseebädern geht die Angst um vor einer Schädigung der Umwelt und der Beeinträchtigung des Tourismus. Es wird vermutet, dass sich durch den Hafen das Wasser vor Usedom und Rügen eintrüben könnte. Das Ostseebades Heringsdorf will den Rechtsweg nutzen, um den Bau des Containerhafens zu verhindern.
 Wenig bekannt ist, dass die Planungen für einen Tunnelbau fast ein Jahrhundert früher – bereits in den 1930er Jahren - begonnen hatten. Die Doppelinsel Usedom-Wollin war zu dieser Zeit das größte und beliebteste Urlaubsgebiet Deutschlands. Man zählte in Swinemünde jährlich bereits 54.000 Gäste und 295.000 Übernachtungen. In der Stadt trafen die Reichsstraße 110 und die Reichsstraße 111 aufeinander. Der durch die Garnison noch verstärkte Verkehr in Richtung Osten wurde durch die sechs Meter breite Lotsenstraße zu den drei – recht kleinen - Fähren geleitet. Die Fähre „Kehrwieder“ etwa, konnte nur drei PKW gleichzeitig befördern. Lange Wartezeiten waren daher im Sommer die Regel. Das Weltbad Swinemünde stand unmittelbar vor dem Verkehrsinfarkt.
 Der Bau einer Brücke kam wegen des regen Schiffsverkehrs von und nach Stettin nicht infrage, daher war einzige Option der Bau eines Tunnels. „Für die Stadt Swinemünde und ihre umliegenden Orte insbesondere für die Bäder auf Usedom-Wollin, stellt der Tunnel geradezu eine Notwendigkeit dar, ebenso für die Reichsmarine…“, hieß es aus der Stadtverwaltung.
 Die Kosten für den 2 Kilometer langen, 7,5 Meter breiten, sehr komfortablen Tunnel mit einer Röhre für den Straßenverkehr und einer zweiten für die Eisenbahn, wurden mit 18 bis 20 Millionen Reichsmark veranschlagt. Der Bahnhof sollte unter die Erde verlegt werden. Die Firma Grün & Bilfinger ging von einer Bauzeit von vier bis fünf Jahren aus. 
 Der Krieg läutete das Ende des kühnen Projektes ein. Am 25.Jauar 1941 kam von der Firma Grün & Bilfinger, Stammhaus Mannheim, die Nachricht: „Wir haben bisher trotz größter Schwierigkeiten die Bearbeitung des Projekts aufrechterhalten, doch haben wir gegenwärtig beim besten Willen kein Personal mehr verfügbar, weil uns sehr vordringliche Arbeiten zugewiesen wurden, die wir natürlich nicht zurückweisen durften. Infolgedessen bedauern wir, vorübergehend die Arbeiten etwas zurückstellen zu müssen.“

 

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